Déjà-vu

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Wer in den letzten Tagen Medienberichterstattung gelesen hat, könnte zum Schluss kommen, dass der Frauenstreik von 2019 ein bürgerlicher Anlass war, der jetzt fieserweise von linken Frauen gekapert wurde. So schreibt etwa Reza Rafi, neuer Chefredaktor des ‹Sonntagsblicks›: «Der Frauenstreik vor vier Jahren hatte den Anspruch, die weiblichen 50 Prozent der Bevölkerung zu vertreten, von der Bäuerin über die Businessfrau bis zur Lehrerin, von der Schülerin bis zur Seniorin. Heute scheint der Termin vor allem als Sammelgefäss für Anliegen aus der linken und linksalternativen Ecke zu dienen.» Als Beweis für diese These führt er zum einen an, dass eine Gewerkschaft den 14. Juni zum Anlass genommen hat, für den Mindestlohn zu werben. Zwei Drittel der betroffenen Tieflöhner:innen in Branchen wie Reinigung, Gastronomie oder Hotellerie sind übrigens Frauen. Der zweite Beweis: «Das bestätigt auch ein Streifzug durch den Zürcher Kreis 4, diese Gated Community der Selbstgerechten. Die Mauern sind mit Propaganda für den 14. Juni zugekleistert. «Women of the World Unite!», heisst es auf einem Plakat. Die Gruppierung dahinter nennt sich «Bewegung für den Sozialismus». Und eine Truppe namens «Trotzphase» kündigt an: «Mir kämpfed witer trotz Gummischrot.» Vor vier Jahren hat sein Vorgänger Gieri Cavelty angesichts des Frauenstreiks kommentiert: «Der Frauenstreik vom kommenden Freitag bringt die Herren der Schöpfung in Wallung.» Das tut er offenbar immer noch.

Christina Neuhaus schreibt in der NZZ: «Weil die Linke allein definieren will, was feministische Politik ist, haben ihr die Frauen der bürgerlichen Mitte genervt und frustriert das Feld überlassen.» Und Raphaela Birrer klagt im ‹Tages-Anzeiger›: «Dieser Streik wurde gekapert.» Diese Diskussion ist allerdings nicht neu. So distanzierte sich vor vier Jahren die Präsidentin der Business und Professional Women Elisabeth Bosshart von der «Kapitalismus-Kritik» des offiziellen Aufrufs. Das Manifest kritisierte damals «das kapitalistische Wirtschaftssystem, von dem nur eine Minderheit profitiert, während die Mehrheit der Weltbevölkerung, insbesondere Frauen, ausgebeutet wird». Gefordert wurden zudem ein kostenloser Zugang zu Abtreibung und Verhütung und sexistische Verfolgung als Asylgrund. Babette Sigg, damalige Präsidentin der CVP-Frauen fand dazu: «Hinter solchen Forderungen können wir nicht stehen.» Doris Fiala, 2019 Präsidentin der FDP-Frauen meinte, die Initiantinnen des Frauenstreiks seien in den 1970ern stehen geblieben. 

Es war tatsächlich eine grosse Stärke des Frauenstreiks 2019, dass sich sehr viele Frauen beteiligten aus unterschiedlichen Gründen, von der Bäuerin zur Städterin, von der Gewerkschafterin zur Geschäftsfrau. Und er hatte eine Auswirkung auch über den Tag hinaus, wie die Frauenwahl im Herbst 2019 zeigte.  Die Frauenbewegung hatte in ihrer Geschichte immer wieder Differenzen. Beispielsweise zwischen der sozialistischen und der bürgerlichen Frauenbewegung, auch wenn man gewisse Anliegen teilte, wie etwa das Frauenstimmrecht oder die Einführung einer Mutterschaftsversicherung.

Diese ideologischen Differenzen gehören dazu, sind vielleicht aber den Frauen gar nicht so wichtig. In der ‹Hotelrevue›, kein linkes Kampfblatt, sondern das Branchenmagazin der Hotellerie, werden im Vorfeld des Streiks zwei Hotelièren interviewt. Anna Metry aus Zermatt und Karin Kunz aus Bern finden es ganz selbstverständlich, an den Streik zu gehen. Metry meint: «Ich finde schon, dass man für seine Rechte einstehen und kämpfen soll. Wir haben schon viel erreicht, aber trotzdem ist es noch ein weiter Weg». Und Karin Kunz aus Bern sagt: «Ja, wir müssen am 14. Juni auf die Strasse. Ich bin nämlich nicht happy über die Erhöhung des Rentenalters und die leeren Versprechungen bezüglich der Pensionskassengelder.» Beide sind sich einig, dass noch einiges getan werden muss, gerade  bezüglich Vereinbarkeit von Beruf und Familie, aber auch Sexismus und Mobbing. 

Die feministische Bewegung ist in den letzten Jahren wieder lauter und erfolgreicher geworden. Insbesondere in den Bereichen Gewalt und sexuelle Belästigung, sowie in der Repräsentation und Vertretung von Frauen auch in Machtpositionen ist einiges gegangen. Gerade die Medienbranche – auch das eine «Gated Community der Selbstgerechten» – wurde in den letzten Jahren von einigen «Metoo»-Skandalen erschüttert. Das löst auch Verunsicherung aus, ein Backlash ist spürbar. Gleichstellungsthemen werden lächerlich gemacht, auf Symbole und Scheindebatten wie Gendersterne reduziert. Man kann der Bewegung, bei aller Heterogenität und allem Verständnis, durchaus auch in einigen Fällen vorwerfen, dass unproduktive Streitigkeiten geführt und die Realpolitik etwas vernachlässigt wurde. Der sich zeigende Backlash ist zugleich ein Zeichen des Erfolgs der Bewegung wie auch ein Warnsignal. Wenn sich die Bewegung spalten lässt, wird sie sich auch selbst schwächen. Und das ist im Interesse von niemandem.