Menü A, B oder Wochenhit

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Erschienen bei Clack.ch

Vor kurzem war ich wieder einmal im Vegi-Tempel Hiltl. Ich war lange nicht mehr da – nicht aus kulinarischen, sondern schlicht aus geographischen Gründen. Auf jeden Fall war es so, dass ich meinen Teller schon gefüllt habe, bevor ich überhaupt erst einen Drittel des Buffets abgeschritten habe. Und ich dachte mir dabei, dass zu viele Möglichkeiten nicht immer das Wahre sind.

Die vom Soziologen Peter Gross beschriebene Multioptionsgesellschaft bietet immer beides: Fluch und Segen. Die Fülle an Möglichkeiten ist Befreiung und Zwang zu gleich. Woody Allen sagte einmal, dass er gerne in New York lebe, weil er dann mitten in der Nacht eine Wan Tan-Suppe essen gehen könne. Das mache er zwar nie, aber er könnte, wenn er wollte. Diese Lebensqualität in der Potenzialität kann ich gut nachvollziehen.

Ich zweifle zwar, dass man in Zürich mitten in der Nacht eine Wan Tan-Suppe essen kann. Schliesslich ist Potenzialität vermutlich ein schlechtes Business-Modell, denn der Suppenverkäufer kann ja nicht davon leben, dass die Leute eine Suppe essen könnten, wenn sie wollten, wenn sie es dann am Schluss nicht tun. Meine Wan Tan-Suppe ist das grosse Kulturangebot in Zürich, das ich besuchen könnte, wenn ich wollte und nicht zu müde wäre oder Sitzung hätte oder doch lieber schaue, was im Fernsehen so läuft.

Insofern sind Optionen tatsächlich Lebensqualität. Und im Moment finde ich es mindestens auf dem Papier bedrohlich, dass gewisse Optionen altersmässig wegfallen. Zum Beispiel könnte ich nicht mehr Polizistin werden, wenn ich es wollte. Dafür bin ich zu alt. Nun wollte ich nie Polizistin werden, aber es ist durchaus manchmal schwierig, wenn man realisiert, dass einem das Leben und die Welt nicht mehr so offen stehen wie mit 20.

Am Buffet konfrontiert mit der unendlichen Masse an verschiedenen Dingen scheint die Multioptionsgesellschaft doch wieder bedrohlich. Optionen sind gut, zu viele Optionen sind eine Überforderung. Wie angenehm ist doch ein Restaurant, wo man nicht auswählen muss – oder höchstens auswählen kann zwischen Menü A, B oder dem Wochenhit.

Es gibt offenbar Studien, die besagen, dass der Kunde mit mehr als drei Optionen überfordert ist. Dass er lieber nur drei Optionen hat als ganz viele. Eine Aktion, in der zum Beispiel drei verschiedene Weine angeboten werden, verkauft sehr viel mehr Weinflaschen als eine mit 20 verschiedenen Weinen. Eben – Menü A,B oder Wochenhit.

Ich bin überzeugt, dass die Einheitskasse nicht daran gescheitert ist, weil die Menschen es als Qualität empfinden zwischen 60 verschiedenen Kassen auswählen zu können, sondern eher wegen der Sorge ob der Unsicherheit des Systemwechsels. Ironischerweise macht eine Krankenkasse (Sympany) selber damit Werbung, dass das System zu kompliziert sei. In ihrer Werbung verzweifelt ein Mann an einer Kaffeebestellung, weil er zu viele Entscheidungen treffen muss (Röstung, Bohnenart, Grösse und so weiter). Das Fazit: Es muss wieder einfacher werden.

In einer Nachabstimmungsanalyse durch den Zürcher Regierungsrat nach einer verlorenen Abstimmung zur Ausgliederung der Zürcher Elektrizitätswerke wurde festgestellt, dass eines der Hauptmotive zur Ablehnung der Vorlage darin gelegen hat, dass die Leute nicht wollten, dass sie in einem freien Strommarkt, einen Stromanbieter selber auswählen zu müssen. Sie wollten, dass der Strom aus der Steckdose kommt und regelmässig die Rechnung vom Werk. Und darum haben sie vermutlich auch die Strommarktliberalisierung abgelehnt. Nur wenige warten vermutlich auf die Liberalisierung, die jetzt kommen wird.