Das Fräulein und die Farce

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Ich bin alt genug, mich daran erinnern zu können, wie das «Fräulein» abgeschafft wurde. Auf amtlichen Formularen ist es bereits Anfang der 1970er-Jahre verschwunden, also knapp vor meiner Geburt. Im Sprachgebrauch lebte es aber noch eine Weile weiter, insbesondere in der Beiz, wo man die Serviertochter (die heute auch nicht mehr so heisst) gerne so rief. Es war in den 1990er-Jahren, als das Fräulein auch noch seine letzten Reviere verliess. 1994 schlugen deutsche SprachwissenschaftlerInnen vor, aus dem «Fräulein» eine «Frau Ober» zu machen. Das führte im ‹Blick› zu eifrigen Diskussionen. W.H. aus Liestal war empört: «Gemäss einer hirnverbrannten Idee aus Deutschland soll die Serviertochter in Zukunft ‹Frau Ober› heissen. Warum muss alles aus Deutschland importiert werden – selbst der grösste sprachliche Mist?» Barmaid R. fand: «Wer mich so ruft, bekommt nichts zu trinken!» U.B. aus Belp hatte eine pragmatische Lösung: «Ich rufe die Serviertochter immer mit ‹Müsli› an den Tisch.» 1996 verschwand das Fräulein aus der Amtssprache. Im Leitfaden für die sprachliche Gleichbehandlung der Bundeskanzlei steht klar: «Fräulein wird nicht mehr benutzt, weder in der Anrede noch in der Anschrift oder beim Telefonieren, es sei denn, eine Frau wünsche dies ausdrücklich.» 1996 verschwand auch die Serviertochter. Das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit änderte die Berufsbezeichnung in Servicefachangestellte.

 

Das Fräulein wurde also abgeschafft und ist seither grossmehrheitlich verschwunden. Und wird kaum vermisst. Die Gesellschaft verändert sich und die Sprache auch. Dieser Prozess ist mal langsam, mal schnell und manchmal, wenn man eigentlich denkt, man sei angekommen, beginnt der Prozess wieder von vorn. Vor ein paar Jahren sagte mir ein SVP-Gemeinderat, dass ihm geschlechtergerechte Sprache wichtig sei. Worauf ich dachte, diese Schlacht sei geschlagen. 

 

Zu früh gefreut. Um Marx zu paraphrasieren, ereignen sich alle grossen Ereignisse der Weltgeschichte zweimal, einmal als Tragödie und dann als Farce. Und so fühlt man sich denn auch ein wenig, wenn man beispielsweise ein Interview von SVP-Nationalrätin Esther Friedli liest, wo sie über den Woke-Wahnsinn klagt, aber ihr beim besten Willen kein konkretes Beispiel dazu einfällt. Oder wenn SVP-Gemeinderätin Susanne Brunner für eine Initiative sammelt, die der Stadtverwaltung Zürich den Gebrauch des Gendersterns verbieten will. Selbst wenn man kein Fan des Gendersterns ist, sollte man sich fragen, ob es wirklich stufengerecht ist, über amtsinterne Leitfäden eine Volksabstimmung durchzuführen. Bereits 2001 wehrte sich die SVP gegen die Sprachleitfäden der Stadtverwaltung – damals ging es noch ums Binnen-I – mit einem Vorstoss, der wollte, dass «sichergestellt werden kann, dass sich die Stadtverwaltung künftig in schriftlichen Dokumenten eines grammatisch und orthographisch korrekten Deutsch gemäss Duden bedient». 

 

Die Sprachdebatte hat nun aber ein zusätzliches Element erhalten. Kritisiert wird seit einigen Jahren, dass eine sprachliche Gleichbehandlung von Männern und Frauen nicht inklusiv ist, weil sie auf eine Binarität der Geschlechter abzielt. Wer sich hier nicht eindeutig verorten kann oder will, ist also nicht sichtbar. Darum wurden andere Schreibweisen vorgeschlagen wie der Gendergap (Leser_innen), Genderstern (Leser*innen) oder der Doppelpunkt (Leser:innen). Und seither hat die Sprachdebatte wieder einiges an Gehässigkeit gewonnen. Erschwerend dazu kommt, dass diese Debatte (mindestens im NZZ-Feuilleton) sehr deutsch geprägt ist. Wobei vergessen wird, dass dort das generische Maskulinum – also die konsequente Verwendung der männlichen Form – viel ausgeprägter ist als hierzulande. Deutsche Frauen sprechen zum Beispiel häufig von sich selber in der männlichen Form, was in Schweizer Ohren sehr ungewöhnlich klingt. Selbst Esther Friedli würde sich nie als «Nationalrat und Unternehmer» bezeichnen, und auch Gemeinderätin Susanne Brunner käme das nicht in den Sinn. 

 

Nun gibt es in der Debatte durchaus Einwände, die man diskutieren kann. Die Sprachwissenschaftlerin und Pionierin der geschlechtergerechten Sprache Luise Pusch beispielsweise stört sich am Genderstern. Allerdings weniger am Stern als an der Platzierung. Die Männer erhielten so ihrer Meinung nach den Wortstamm, und den Frauen bliebe nur noch das «innen» nach der Pause:  «Das Femininum darf nicht durch den Genderstern zerrissen, zerlegt, in drei Teile geteilt werden.» Gewisse Feministinnen fürchten, dass mit dem Versuch einer inklusiveren Sprache die Sichtbarkeit der Frauen in Sprache und Gesellschaft wieder in Gefahr ist.  Das ist nicht total abwegig, auch wenn man die Schlussfolgerung nicht teilt. 

 

1996 schrieb die Bundeskanzlei in ihrem Leitfaden: «Die Menschheit besteht aus Frauen und Männern. Dies soll auch in der Sprache zum Ausdruck kommen. Die Verwendung maskuliner Personenbezeichnungen für beide Geschlechter (sog. generisches Maskulinum) wird der Forderung nach sprachlicher Gleichbehandlung nicht gerecht, da solche Formen die Präsenz von Frauen verschleiern.» Heute will sie in den neuen überarbeiteten Leitfäden im Französischen und im Italienischen zurück zum generischen Maskulinum, was einen Rückschritt zur bisherigen Regelung darstellt. Die Begründung für den Rückschritt zum generischen Maskulinum ist, dass man die Inklusivität vor die Sichtbarkeit stelle. Sprich: Es ist zu kompliziert, alle Geschlechter darzustellen, also gehen wir doch wieder zurück zur männlichen Form. Mit den falschen Verbündeten kommt allerdings die Sichtbarkeit kaum zurück.

 

Die Debatte braucht durchaus etwas mehr Gelassenheit. Aber auch Verständnis und Verständlichkeit. Der Journalist Matthew Yglesias vertritt in einem kurzen Artikel die These, dass inklusive Sprache auch etwas Ausschliessendes haben kann. Und zwar weil sie in Codes funktioniere, die für all jene Menschen, die nicht die entsprechende Bildung und den entsprechenden Hintergrund hätten, nicht verständlich sind. Hand aufs Herz: Wer musste nicht schon Begriffe googlen? Wer weiss schon, was FINTA und BiPOC sind? Und ist es jetzt LGBTQ oder LGBTIQ? Inklusive Sprache ist wichtig, aber sie muss auch verstanden werden, damit sie wirklich inklusiv wird. Und damit sie verstanden wird, braucht es auch einen gewissen Prozess. Aber Fortschritt ist möglich. Und gar nicht mal so schwer. Wie bestellen in der Beiz. 

 

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